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Am Sonntag stehen Bundestagswahlen an. Viele haben Angst vor einem Rechtsruck, überlegen, taktisch zu wählen oder wählen überhaupt nur mit Bauchschmerzen das geringere Übel.
Die „Fortschrittskoalition“ hat entgegen den Versprechen von sozialer Gerechtigkeit und Demokratie die Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen in den letzten Jahren immer weiter verschärft und erneut unter Beweis gestellt, dass das System gegen die arbeitenden Menschen gerichtet ist, egal welche Partei regiert. Doch wie sollten wir uns jetzt verhalten, wo die Ampel endlich abgewählt werden kann – die größten Alternativen jedoch alle rechts davon stehen?
Linkspartei wiederbeleben?
Viele Linke in Deutschland setzen in diesen Zeiten ihre Hoffnungen in „Die Linke“ (die seit dem Abgang von Wagenknecht mehr Ein- als Austritte verzeichnet) und teilweise in das BSW. Wie ein Blick zurück in die praktischen Erfahrungen mit Regierungsbeteiligungen solcher Parteien zeigt, führte das immer zu Enttäuschungen und oft auch zu Resignation. Die Linke war schon an einigen Landesregierungen wie in Berlin oder in Thüringen beteiligt. In Thüringen stellte sie sogar den Ministerpräsidenten. Außer ein paar kleinen Bonbons für die Arbeiterklasse und fortschrittliche Kräfte gab es vor allem ständige Rücksichtnahme auf die Interessen des Kapitals: Schuldenabbau beim Finanzkapital zu Lasten der Sozialhaushalte, Subventionen für das Kapital, Infrastrukturmaßnahmen im Interesse des Kapitals. Die Enttäuschung hat auch zu dem rasanten Niedergang der Linkspartei geführt, die mittlerweile wahrscheinlich nur noch die Chance hat, über Direktmandate im Parlament vertreten zu sein. Auch das BSW beginnt seine ersten Regierungsbeteiligungen mit der Aufgabe grundlegender Positionen und lässt sich mit ein paar Phrasen über „Friedensbemühungen“ abspeisen. Viele Wähler gaben dem BSW die Stimme wegen ihrer Position im Ukraine-Krieg und hofften auf eine Stärkung von Friedenspositionen. Das werden sie nicht bekommen.
Parlamentarismus bankrott?
Grundsätzlich ist der Parlamentarismus bankrott. Bewusste Menschen sehen klar, dass dieses System fest in der Hand der herrschenden Klasse ist. Marx charakterisierte den bürgerlichen Staat. Die Bourgeoisie erkämpfte sich seit
„der Herstellung der großen Industrie und des Weltmarktes im modernen Repräsentativstaat die ausschließliche politische Herrschaft. Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“
(K. Marx, Kommunistisches Manifest, Fischer-Ausgabe III, S.61)
Rosa Luxemburg erläuterte:
„Der Parlamentarismus ist – weit entfernt ein absolutes Produkt der demokratischen Entwicklung, des Fortschritts im Menschengeschlechte und dergleichen schöner Dinge zu sein – vielmehr die bestimmte historische Form der Klassenherrschaft der Bourgeoisie…“
(Rosa Luxemburg, Sozialdemokratie und Parlamentarismus)
Weiter sagt Rosa Luxemburg, das Parlament habe sich
„in ein Haus der tödlichsten Geistesöde verwandelt.“
Einige Linke haben aus dieser grundsätzlichen Kritik des Parlamentarismus geschlossen, dass der Parlamentarismus politisch tot sei und man sich deshalb nicht um Wahlen und Parlament kümmern müsse.
Rosa Luxemburg antwortet darauf:
„Hat der Parlamentarismus für die kapitalistische Gesellschaft jeden Inhalt verloren, so ist er für die aufstrebende Arbeiterklasse eines der mächtigsten und unentbehrlichen Mittel des Klassenkampfes geworden.“
Lenin unterstützt das:
„Der Parlamentarismus ist ‚historisch erledigt‘. Im Sinne der Propaganda ist das richtig. Aber jedermann weiß, dass es von da bis zur praktischen Überwindung noch sehr weit ist. Den Kapitalismus konnte man bereits vor vielen Jahrzehnten, und zwar mit vollem Recht, als „historisch erledigt“ bezeichnen, das enthebt uns aber keineswegs der Notwendigkeit eines sehr langen und sehr hartnäckigen Kampfes auf dem Boden des Kapitalismus.“
(W.I. Lenin, Der ‚Linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus)
Lenin kritisiert die Linksradikalen:
„Wie kann man denn davon reden, dass der ‚Parlamentarismus politisch erledigt‘ sei, wenn ‚Millionen‘ und ‚Legionen‘ Proletarier nicht nur für den Parlamentarismus schlechthin eintreten, sondern sogar direkt ‚gegenrevolutionär‘ sind!? Es ist klar, dass der Parlamentarismus in Deutschland politisch noch nicht erledigt ist. Es ist klar, dass die ‚Linken‘ in Deutschland ihren eigenen Wunsch, ihre eigene ideologisch-politische Stellung für die objektive Wirklichkeit halten. Das ist der gefährlichste Fehler, den Revolutionäre machen können.“
Es ist offensichtlich, dass Lenins und Rosa Luxemburgs Darstellung heute umso mehr gilt. Denn tatsächlich haben immer noch viele Millionen trotz aller Enttäuschungen Hoffnungen in das bürgerliche Parlament. Zwar nimmt die Zahl derer tendenziell zu, die nicht zu Wahlen gehen. Doch der herrschenden Klasse gelingt es immer wieder, Wahlentscheidungen zu einer „Lebensfrage“ hoch zu stilisieren und so Menschen an die Wahlurne zu bringen, die eigentlich enttäuscht sind und die Nase voll haben. Es wäre also verheerend, in einer solchen Situation gegenüber den bürgerlichen Wahlen teilnahmslos zu sein.
Wie stehen wir zu den Wahlen?
Angesichts des oben Gesagten, entspricht die Lage der Revolutionäre nicht den Notwendigkeiten des Klassenkampfes. Wir sind zu schwach, um bei den Wahlen eine revolutionäre oder wenigstens klassenkämpferische Alternative zu bieten. Wir können aber nicht illusionäre links-sozialdemokratische Listen unterstützen und damit die Enttäuschung der fortschrittlichen Arbeiter und Kräfte beschleunigen. Wir müssen mit unseren Kollegen, Nachbarn und Kommilitonen unsere gemeinsamen Interessen formulieren und auf den Tisch bringen. Und wir müssen klar machen, dass die Wahl nur ein politischer Akt von vielen ist. Entscheidend wird sein, wie sich der Klassenkampf entwickelt und wie wir daran teilhaben.
Daher haben wir Marxisten-Leninisten uns entschieden, keine Liste zur aktuellen Wahl zu empfehlen. Zugleich haben wir aber auch bewusst nicht zum Wahlboykott aufgerufen. Wir stellen uns also nicht gegen unsere Kollegen, wenn sie wählen und Hoffnungen haben – denn natürlich kann es auch einen geringfügigen Unterschied machen, ob eine Linkspartei noch einmal in den Bundestag einzieht oder nicht. Wir arbeiten jedoch in erster Linie an der Entwicklung des Kampfes.
Unsere Haltung heute ist auch Ergebnis der Schwäche der revolutionären Bewegung in Deutschland. Daran müssen wir arbeiten. Wir brauchen eine starke Arbeiterbewegung und eine kommunistische Arbeiterpartei, die in der Klasse verankert ist. Wir brauchen eine klassenkämpferische Front, die die noch geringen Kräfte zusammenfasst. Mit dem Schwerpunkt der Teilnahme am Klassenkampf, der Verankerung in der Arbeiterklasse und des Aufbaus einer kommunistischen Arbeiterpartei setzen wir uns gleichzeitig dafür ein, dass in künftigen Wahlen ein klassenkämpferisches Bündnis antreten kann, um eine wirkliche Alternative zu den bürgerlichen und faschistischen Parteien zu bieten. Ob das gelingt, hängt nicht allein von uns ab. Jedem ist klar, dass das angesichts der Zersplitterung der fortschrittlichen Bewegung nicht mit einem Fingerschnippen erreicht werden kann. Nutzen wir also die aktuellen Wahlen, um an so vielen Stellen wie möglich über die politische Lage in unserem Land zu diskutieren und diese Phase der allgemeinen Politisierung zu nutzen, um unsere revolutionäre Vorstellung vom Weg zum Sozialismus zu verbreiten
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