Die neue Bundesregierung wird über einen technisch und juristisch hochgerüsteten Überwachungsapparat verfügen, wie es ihn seit dem Ende des Nazi-Regimes in Deutschland nicht mehr gegeben hat.
Heinrich Schreiber – 23. Juli 2021 |
Am Donnerstag, dem 10. Juni 2021 verabschiedete der Bundestag, mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD, das neue Gesetz mit dem nichtssagenden Namen „Anpassung des Verfassungsschutzrechts“. Worum geht es eigentlich darum?
Das Anpassungsgesetz legalisiert, den umfassenden Einsatz von Staatstrojanern durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, die 16 Landesverfassungsschutzämter, den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Sie können so Menschen im In- und Ausland systematisch bespitzeln. Das Gesetz setzt den Daten, die gesammelt werden dürfen, und den Gründen für die Beobachtung kaum Grenzen. Dabei soll es laut unserer bürgerlichen Regierung angeblich nur um das Ausspionieren von Terroristen aber auch um Menschenhändler und Schleuser von Flüchtlingen gehen. Die bisher so gerne genutzte Begründung, es ginge um „pädophile Verbrecher“, vermutet ja eh‘ keiner mehr. Den Daten und Aufzeichnungen – die gesammelt werden dürfen – setzt das Gesetz kaum Grenzen.
Der Einsatz des Staatstrojaners stieß bisher an seine technischen Grenzen. Diese Zeiten sind mittlerweile vorbei, wie die Affäre um das Ausspähen des französischen Präsidenten zeigt. Inzwischen greift die Abhörsoftware schon vor der „end-to-end-Verschlüsselung“. Sie wird auch „Quellen-TKÜ“ genannt. Damit sind nicht nur reale Gespräche erfassbar, die in diesem Moment geführt werden, sondern auch Daten, Bilder und Dokumente, die auf dem Smartphone (das gilt auch für jedes Notebook und jeden Rechner) gespeichert sind. Eine komplette Online-Durchsuchung.
Die meisten Landes-Polizeigesetze sahen die Quellen-TKÜ bisher schon zur Gefahrenabwehr, etwa zur Verhütung noch nicht begangener Straftaten, vor. Online-Durchsuchungen sind nach dem Wortlaut des neuen Gesetzes (den Geheimdiensten) zwar verboten, Bestandsdaten dürfen jedoch abgesaugt werden, sofern diese erst nach Aktivierung des Trojaners auf dem Gerät gespeichert wurden. Nichts kann jedoch in der Praxis verhindern, dass auch ältere Daten erfasst werden. Und realistisch stellt sich die Frage, warum sollte BND, MAD, Verfassungsschutz und die Bundespolizei bei ihrer Online-Durchsuchung wegsehen, wenn sie feststellt, eine Speicherung erfolgte bereits VOR Installation des Trojaners?
Die Bundespolizei ist mit 51.000 Bediensteten die größte Polizeibehörde Deutschlands. Auch die Antiterror-Spezialeinheit GSG-9 und die Bereitschaftspolizei gehören ihr an, die gegen Demonstrationen und sonstige Protestaktionen eingesetzt werden. Sie untersteht direkt dem Bundesinnenministerium, arbeiten aber eng zusammen mit den Sondereinheiten der Länder.
Das neue Gesetz weitet die Befugnisse der Bundespolizei stark aus, mit fließendem Übergang zu geheimdienstlichen Aktivitäten. Wie die Geheimdienste darf jetzt auch die Bundespolizei Staatstrojaner für eine Quellen-TKÜ bei Social Media und Telekommunikationsdiensten einsetzen. Das Besondere dabei: Sie kann dies explizit bei Personen tun, die überhaupt keine Straftat begangen haben, also nach eigenem Gutdünken und ohne richterliche Anordnung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. In gleicher Weise darf sie Mobilfunkkarten und -endgeräte identifizieren und lokalisieren.
Das neue BND-Gesetz
Das Gesetz zum Bundesnachrichtendienst vom 25. März 2021 legalisiert das Anzapfen riesiger Datenbestände und Datenströme, um die Kommunikation von Millionen Menschen zu überwachen und ihre Computer, Handys, Server nach Daten, Fotos und Videos zu durchsuchen. Es kam der Aufforderung eines BVG-Urteils nach, welches die Einhaltung einiger Formalien bei der Anordnung, Dokumentation und Kontrolle beanstandeten.
Nunmehr wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte quantitative Beschränkung der Abhöraktivitäten so umgesetzt, dass sie nicht mehr als „30 Prozent der Übertragungskapazitäten aller global bestehenden Telekommunikationsnetze“ abdecken dürfen! Was wie eine Begrenzung aussieht, ist in Wirklichkeit ein Freibrief für grenzenloses Ausspähen. Der BND wird, selbst wenn er seine technischen Möglichkeiten weiter stark ausbaut, die mit dieser „Grenze“ verbundene ungeheure Datenmenge ohnehin nie erreichen. Das BND-Gesetz ist für den bourgeoisen Staat lediglich ein demokratisches Feigenblatt.
Der moderne Faschismus geht vom Staat aus.
Inzwischen kann die Bundespolizei Ausländer in „Schutzhaft“ nehmen, wie es unter den Nazis üblich war und von der Gestapo massenhaft gegen politische Gegner des Regimes angewendet wurde. Im Landesinneren, z.B. in Zügen oder auf Bahnhöfen, darf sie Verhaftungen vornehmen und ohne richterlichen Beschluss sofort in Abschiebehaft überführen. So Mancher mag jetzt einwenden: „Na ja, Ausländer!“ Aber gegenüber allen Bürgern ist sie ermächtigt, im Einsatz vor Ort ohne richterliche Autorisierung Aufenthaltsverbote für Plätze und Ortschaften zu erlassen. Verhaftungen, Platzverweise und Hausarreste gehören zur Praxis von faschistischen Diktaturen, die ihre Gegner einschüchtern wollen. 2021 ist das nunmehr möglich, was mit dem Protest gegen die Notstandsgesetzte 1968 (eingeführt von CDU/CSU und SPD) befürchtet wurde.
Um alle Lücken bei der Überwachung und polizeilichen Kontrolle der Bevölkerung zu schließen, hat der Bundestag zusätzlich zu den neuen Verfassungsschutz-, BND- und Bundespolizeigesetzen vier weitere, kleinere Gesetze verabschiedet, die ebenfalls bürgerlich-/demokratische Rechte einschränken.
Gesetz zur Weiterentwicklung der Strafprozessordnung
Nach diesem Gesetz, das wie das Verfassungsschutz- und Bundespolizeigesetz am 10. Juni 2021 verabschiedet wurde, ist es Polizei und Geheimdiensten erlaubt, Wohnungsdurchsuchungen auch nachts durchzuführen, was bisher nicht zulässig war. Damit soll es unter anderem möglich sein, Personen zu überraschen, wenn sie nachts am offenen, nicht durch ein Passwort geschützten PC arbeiten.
Außerdem wird das Scannen von Autokennzeichen im öffentlichen Verkehr und ihre anschließende Speicherung für Fahndungszwecke zugelassen. Einer anderweitigen Verwendung dieser Daten und ihrer Weitergabe an andere Behörden oder rechtsextreme Kreise innerhalb und außerhalb der Polizeibehörden sind damit Tür und Tor geöffnet.
Urheberrechts-Diensteanbietergesetz
Dieses Gesetz wurde am 20. Mai 2021 verabschiedet. Es setzt die EU-Urheberrechtsrichtline um und verpflichtet alle größeren Internetplattformen wie YouTube, Facebook usw., ab August dieses Jahres ausnahmslos alle Inhalte, die hochgeladen werden, automatisiert mit Upload-Filtern zu überprüfen und gegebenenfalls zu blockieren, wenn sie gegen Urheberrechte verstoßen.
Bisher mussten die Internetplattformen erst nach konkreten Hinweisen möglicherweise rechtswidrige Inhalte überprüfen und gegebenenfalls löschen. Jetzt müssen sie alle Uploads von vornherein mit geeigneten Filtern überwachen und bei vermeintlicher Rechtswidrigkeit automatisch, ohne genauere Prüfung und Rücksprache mit dem Nutzer, löschen.
Die Große Koalition hat damit dem Druck großer Musik-Labels und -Konzerne nachgegeben, die auf diese Weise ihre Profite steigern wollen. Gleichzeitig werden damit auch neue technische Voraussetzungen für eine autoritäre Überwachung und Zensur des Internets geschaffen. Da geht es dann nicht mehr um die Interessen von Musik-Labels. Da erfolgt die Zensur nach politischer Gesinnung.
Gesetz zur Bestandsdatenauskunft
Nach diesem Gesetz vom 26. März 2021 sind Telekommunikationsdienste und Telemedienanbieter wie WhatsApp, eBay, Facebook, Google oder YouTube zur Herausgabe persönlicher Daten eines Nutzers an Polizeibehörden und Geheimdienste verpflichtet. Darunter fallen Passworte, PINs und PUKs, IP-Adressen, aber auch Daten zu besuchten Internetseiten, zur Häufigkeit solcher Besuche usw.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorgängerversion dieses Gesetzes im Mai 2020 für verfassungswidrig erklärt. Doch im neuen Gesetz hat sich kaum etwas geändert. Polizei und Geheimdienste müssen nun lediglich einen „gewichtigen“ Grund für ihre Anfrage angeben. Als gewichtige Gründe zählen u.a. „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats“ und „verfassungsfeindliche Bestrebungen“. Aus den Amifilmen kennen wir immer den Hinweis auf die „Nationale Sicherheit“, mit welchem immer alles schnell begründete wird.
Gesetz zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis- und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen und eID-Gesetz
Am 5. November 2020 wurde die Speicherpflicht für Fingerabdrücke in allen Personalausweisen eingeführt. Damals wurde dies als Ergänzung der biometrischen Daten eines Ausweisinhabers dargestellt, die nur dezentral auf dem Ausweisdokument festgehalten würden. Ein halbes Jahr später, am 21. Mail 2021, folgte jedoch das Gesetz zum Elektronischen Identitätsnachweis (eID), das die zentrale Speicherung aller biometrischen Daten und persönlichen Angaben legalisiert.
Dieses Gesetz ermöglicht zunächst, dass alle biometrischen Daten und die Unterschrift einer Person auf ein mobiles Endgerät wie ein Smartphone übertragen werden. Auch dies wurde als „Segen für den Nutzer“ und für die Digitalisierung der staatlichen Verwaltung verkauft. Datenschutzexperten hoben aber hervor, dass diese Daten damit auch für die Geheimdienste und Polizeibehörden zum Abgreifen durch Staatstrojaner zur Verfügung stünden.
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