Mensch sein – in Zeiten von Corona

Mensch sein und menschlich sein - Ein Grundbedürfnic dar nicht aufgehoben werden - PHOTO: YouTube VideoScan

Eine Lüge, die oft genug wiederholt wird, erhält Wahrheits-Charakter. Ein Virus, der medial und politisch als mörderisch verkauft wird, immer und immer wieder, mutiert zum „Angstvirus“.

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Im Corona-Medien-Zeitalter gibt es kaum ein Bereich, der sich diesem Thema entziehen kann. Aber das Leben geht weiter und Vorschriften ergeben nur dann einen Sinn, wenn sie befolgt werden. Angst ist da ein wirkungsvolles Motiv. Wo die Angst nicht wirkt, müssen Strafen her.  Denn ein diszipliniertes Volk ist unbezahlbar. Waren bisher drohende Arbeitslosigkeit ein Machtinstrument um die Räder der Industrie für Profite am Laufen zu halten, so ist die Angst vor Viren viel effektiver. Da nimmt die Ausbeuterklasse schon einmal wirtschaftliche Einbußen vorübergehend in Kauf. Olga Masur, Mediatorin, Coach, Journalistin und Buchautorin fasst dann auch ihre Betrachtungen im Nachstehenden Artikel zusammen.  

Heinrich Schreiber

 

Olga Masur – 21. August 2020

 

Warum Virologen und deren Gefolgschaft zu Taliban der Moderne zu werden drohen

Dominic Cummings, politischer Chefberater des britischen Premiers Boris Johnson, fährt während des Lockdowns, den er selbst zu verantworten hat, durchs halbe Land, um seine Tochter gut versorgt zu sehen. Jarosław Kaczyński, Jurist und Vorsitzender der Regierungspartei Polens, geht am Todestag seines Zwillingsbruders zu dessen Grab, obwohl Friedhofsbesuche strengstens verboten sind während des Lockdowns, den er selbst verordnet hat. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow geht zur Beerdigung einer Nachbarin, obwohl er selbst verfügte, dass bei Trauerfeiern nur der „engste Familien- und Freundeskreis“ teilnehmen darf.

Arroganz der Macht? Sicher! Aber eben auch die Kapitulation vor der eigenen Unfähigkeit, Unmenschliches zu befolgen.

Ramelow erkannte, dass es „unmenschlich“ gewesen wäre, der Trauerfeier fernzubleiben. Er ist nicht der Einzige, der sagt, man sei zu weit gegangen im Bestreben, die Ausbreitung von Covid-19 zu hemmen, was – man erinnere sich – eigentlich dazu da sein sollte, die Krankenhäuser nicht an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit zu bringen.

Zuwendung, Nähe und Wärme, kurz: menschlicher Kontakt sind konstituierend für das Mensch-Sein an sich; Säuglinge sterben ohne Berührung und liebevolle Ansprache, selbst wenn sie ausreichend Nahrung und Pflege erhalten. Nicht von ungefähr gewinnen die Folgen von Einsamkeit immer mehr Forschungs- und politische Aufmerksamkeit. In Großbritannien wurde 2018 sogar ein Ministerium eingerichtet, das sich diesem Problem widmen soll.

Der Innensenator, der seine Ernennung in einer Kneipe feierte, was er aber selber verboten hatte – PHOTO: YouTube

In der oben begonnenen Aufzählung fehlt – mindestens – ein weiterer Kandidat: Andy Grote feierte am 10. Juni seine Wiederernennung zum Innensenator in einer Hamburger Kneipe. Er sagt, es sei ein „lockeres Zusammenkommen“, ein „Stehempfang“ gewesen; andere sprechen von Party. In jedem Fall haben sich da mindestens 30, im Verlauf des Abends 50 Personen, die Klinke in die Hand gegeben, während sich in Hamburg nur maximal sechs Personen „ansammeln“ durften, und der Betrieb von Gaststätten ohnehin ganz untersagt war. Jede noch so kleine Zuwiderhandlung gegen Corona-Vorschriften wurde mit mindestens 150 Euro Strafe pro Person geahndet.

Grote, dessen Behörde für die Einhaltung dieser Verordnungen zuständig ist, nahm den HamburgerInnen bis Ende Juni in knapp 9240 Ordnungswidrigkeitsverfahren 613.027 Euro ab, hielt sich selbst aber nicht daran. Nach wochenlanger Prüfung durch die Bußgeldstelle in Grotes eigener Behörde soll er nun 1.000 Euro zahlen, angeblich habe er zwar „keine Fehler“ gemacht, allerdings eine verbotene „private Zusammenkunft“ abgehalten.

Arroganz der Macht? Ganz sicher! Und ein guter Anlass zu überlegen, ob Strafen für Verstöße gegen selbst erlassene Vorschriften nicht automatisch das Zehnfache dessen betragen sollten, was ein Normalbürger zahlen müsste.

Dennoch: Auch hier stellt sich die Frage, was das Menschsein ausmacht. Gehören Feiern und Party dazu? Oder ist das lediglich ein nice to have?

C. Drosten bei M. Illner – PHOTO: YouTube

Professor Christian Drosten meinte bei Maybrit Illner, dass man „leichtfüßig“ entscheiden könne, „Spaßveranstaltungen“ auszusetzen. Man müsse nicht immer Spaß haben, wenn es wirklich „nur Spaß“ sei. So froh man sein kann, dass es Menschen gibt, die sich so von einem Virus faszinieren lassen, fragt man sich doch, ob er nicht zu lange zwischen Phiolen und Mikroskopen stand.

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, setzte noch einen drauf und meinte, wir sollten uns alle für den Erfolg der Einschränkungen „belohnen“, indem wir uns weiter einschränken. Selbstkasteiung scheint ein Teil der Ausbildung zum Virologen zu sein, wobei: Er ist ja Tierarzt … was wieder zu Tönnies und Kasteien passt. Immerhin hat er dann doch selbst gemerkt, dass diese Formulierung fragwürdig ist. Aber überhaupt so zu denken!

Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viel nicht nur Freudvolles, sondern auch schlicht existenziell Wichtiges während des Lockdowns vorenthalten wurde, stellt sich die Frage, ob Drosten, Wieler und Co. – und mit Co. sind all die PolitikerInnen gemeint, die das schließlich so entschieden – als „Taliban der Neuzeit“ in die Geschichte eingehen werden. Denn so etwas würde auch ein Taliban sagen: Alles, was Spaß macht, ist verboten! Spielen und Tanzen, Singen und Lachen – v.a. über Autoritäten, insbesondere VirologInnen, oder wie Drosten für sich forderte, als auch er Gegenstand von Karikaturen wurde: „Das muss aufhören!“

Taliban der Moderne halten alles, was Spaß macht, für verzichtbar

Das Erste, was Taliban streichen, sobald sie an der Macht sind, sind Bildung und Vergnügen. Schulen werden geschlossen bzw. sind nur für Jungen zugänglich und dienen vornehmlich dem Auswendiglernen des Koran. Singen, Tanzen, Feiern, Kunst und sogar Spielen – ganz zu schweigen von Küssen! – sind verboten oder stark zensiert.

Wobei beim Küssen der österreichische Gesundheitsminister Rudi Anschober ganz vorn beim Taliban-Verbots-Award nominiert wäre: Er hatte das öffentliche Küssen tatsächlich unter Strafe gestellt. Und auch wenn es nicht kontrolliert und sanktioniert werde, sei auch „daheim“ vom Küssen zwischen nicht zusammenlebenden Personen „abzusehen“.

Auch der Berliner Senat darf Ansprüche auf einen solchen Award anmelden: Er hat das Singen in geschlossenen Räumen – außer in Schulen – verboten. Und in Hamburg ist seit Neuestem das Tanzen auch allein, mit Abstand und im Freien verboten – nämlich auf Demonstrationen!

Und was die Bildung angeht: Kinder entbehren durch die Corona-Vorschriften im Schnitt 50% des Unterrichts; und das RKI musste man zum Studien erheben tragen wie andere zum Jagen. Erkenntnisgewinn scheint nicht oben auf der Prioritätenliste zu stehen.

So verhindern beide Gruppen, Virologen und Taliban, aus unterschiedlichen Gründen, dasselbe: All das, was zum Einen für den Zusammenhalt in Familien und Gesellschaft sorgt, und zum anderen den Geist frei macht und Raum schafft, über Grenzen hinaus zu denken. Das ist das Wesen von Extremisten: Ihr Blick verengt sich – und sie sind bereit, alles ihrer Ideologie zu opfern.

So bietet Christian Drosten nur eine einzige Lösung für den von ihm selbst prognostizierten angeblich über zwei Jahre immer wieder nötigen Lockdown: Da dies „kein Mensch aushält“, müsse man bei der Zulassung von Impfstoffen Sicherheitsvorgaben mindern – und der Staat die Haftung dafür übernehmen.

Spaß schafft Kreativität schafft Erkenntnis

PHOTO: YouTube

Nun ist es allerdings so, dass genau das: die Ziel- und zweckfreie Betätigung, Vergnügen um des Vergnügens willen, das Menschsein ausmacht. Das ist der Kern unserer Spezies – und das Geheimnis unseres Erfolgs, weil es dazu führt, dass wir kreativ sind: über den Tellerrand hinaus denken, Dinge erfinden – und zwar auch solche, von denen wir uns vorher nicht vorstellen konnten, dass sie existieren und Sinn machen könnten … Impfungen zum Beispiel!

Ohne Kreativität keine Forschung, ohne Grundlagenforschung – teuer und aus Sicht mancher sinnlos, also lediglich zum Vergnügen und zur Beschäftigung von Wissenschafts-Nerds – keine grundlegenden Erkenntnisse. Ohne Leidenschaft keine Wissenschaft. Das sollte eigentlich gerade ein Christian Drosten wissen, selbst ein offenbar begeisterter Forscher. Durch Studien bestätigt ist es auf jeden Fall: Positive Emotionen erweitern unser Denk- und Handlungsrepertoire, wie die in Stanford promovierte Sozialpsychologin Professor Barbara Fredrickson zeigte: Sie versetzen in die Lage, eine Situation aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und helfen dabei, mit chronischem Stress und negativen Erlebnissen umzugehen. Psychoneuroimmunologie ist hier ein wichtiges Stichwort.

Bei Kindern – geborene Forscherinnen und Forscher – gilt sogar: Das Spiel ist ihre Arbeit, wie die Pädagogin Maria Montessori feststellte: Das Kind lernt im Spiel, den eigenen Körper zu koordinieren, motorische Fertigkeiten auszubilden und übt das soziale Miteinander. Körperliche Nähe ist dabei elementar, und sie lässt sich in der Kindesentwicklung auch nicht verschieben wie ein Restaurantbesuch.

Dabei kamen all diese Einschränkungen zu einem Zeitpunkt, wo die beiden Hauptargumente für den Lockdown: hohe Sterblichkeit und extreme Ansteckung, beide nicht mehr aufrecht erhalten werden konnten: Stanford-Professor John Ioannidis stellte schon vor Monaten fest, dass erstere im Rahmen der – zugegebenermaßen weit gespreizten – Influenza liege. Und der japanische Epidemiologe Prof. Dr. Kenji Mizumoto fand für Wuhan eine Mortalitätsrate von 0,04 – 1,12 %. Die Heinsbergstudie schätzte die Sterblichkeit auf 0.36 Prozent. Ebenso zeigte diese Studie, dass sich selbst in einem Haushalt lebende Familienmitglieder nicht automatisch anstecken: Bei Paaren liegt die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei unter 50 Prozent.

Und selbst wenn sie höher läge, gäbe es keinen Automatismus, die aktuellen Entscheidungen zu treffen, oder wie Professor Hendrik Streeck bei Markus Lanz selbstkritisch mahnte: „Wenn ein Virologe das Leben bestimmen würde, dann wäre es plötzlich sehr, sehr langweilig. Dann hätten wir keinen Sex mehr, würden nicht mehr küssen, weil das alles theoretisch Viren übertragen könnte.“ Oder anders: Ohne Kontakt gar keine Menschen, auch Sex ist konstituierend für das Mensch-Sein, ja die pure Existenz. Mit gutem Grund hat die Natur es so eingerichtet, dass Fortpflanzung Spaß macht.

Nein, VirologInnen sind keine Taliban, und v.a. stoßen nicht alle in dieses Horn, aber wenn wir uns dem Urteil anderer – und zwar egal welcher Gruppe von WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen oder anderen – kritiklos und schlimmer: fraglos ausliefern, und unlängst forderte Lothar Wieler erneut, dass die Vorschriften „überhaupt nie hinterfragt“ werden dürften, dann geben wir ihnen Macht, die in aller Regel früher oder später missbraucht wird. Auch dies ist eine, unerfreuliche, Konstante des Mensch-Seins.

Kreativität und Kontakt – Schlüsselqualifikationen für die Zukunft

Wollen wir auf Vieles, das Menschsein ausmacht und uns überhaupt erst die Fähigkeit verleiht, kreativ zu sein und Probleme zu lösen, verzichten? Reicht dafür die Überschrift „Lebensrettung“ – egal, wie dünn der Text danach dann ist? Und wenn ja: Unter welchen Voraussetzungen? Welche Kriterien müssen erfüllt sein? Welche Verhältnismäßigkeiten gewahrt? Welcher Zeitraum ist angemessen? Und unter welchen Umständen dürfen Einschränkungen, wie die, Eltern im Pflegeheim zu besuchen, sie zu umarmen und ihnen in der letzten Stunde die Hand zu halten oder Kinder wichtiger Entwicklungsvoraussetzungen zu berauben, überhaupt Gegenstand staatlicher Vorschriften sein? Zumal wenn diese nicht einmal gefragt wurden, ob sie diesen „Schutz“ überhaupt wollen.

Wollen wir, dass Familienmitglieder und Paare, die nicht zusammen wohnen, sich nur auf Abstand treffen dürfen? Wie stark soll der Staat überhaupt und in Zukunft in das intimste Privatleben der Bürgerinnen und Bürger (und bei Impfung in ihren Körper) eingreifen dürfen? Und wenn ja: Welche Begründung muss er dafür liefern? Welche Kriterien genau müssen dafür erfüllt sein? Wie konsistent müssen sie sein? Wer soll diese festlegen dürfen?

Oder soll auch demnächst eine schwammige Antwort à la Wieler reichen, der auf die Frage eines Welt-Reporters, wie stark die Zahl der täglichen Neuinfektionen zurückgehen müsse, damit er der Bundesregierung „guten Gewissens“ empfehlen könne, die Maßnahmen wieder zu lockern, sagte; „Kann ich keine definitive Antwort geben, wir schau’n uns das ständig an. Wir müssen auch sehen, wie die Maßnahmen wirken.“

Es war keine Frage nach einem Zeitpunkt oder einem Ergebnis, sondern den Kriterien – zwischen denen das RKI und die Kanzlerin dann ja auch hin und her wechselten. Mal war es dieser Zeitraum für die Verdoppelung der Fallzahlen, dann jener. Heute ist es der R-Wert, dessen Berechnung auch mitten im Verlauf geändert wurde.

All diese Fragen müssen geklärt werden, nicht nur für den Moment, sondern grundsätzlich. Dieser demokratische Willensbildungsprozess ist elementar wichtig und darf nicht mit dem Vorwurf „Öffnungsdiskussionsorgien“ ins Obszöne gezogen werden.

Als obszön gilt jede Handlung oder sprachliche Äußerung, die massiv gegen jeweilig geltende Normen verstößt. lateinisch obscenus, „schmutzig, verderblich, schamlos“.

Vielmehr ist allein diese Wortschöpfung eine Obszönität in einer Demokratie. Denn selbst wenn solch weitreichende Vorschriften gut begründet werden, fragt sich doch, was ein menschliches Leben aus- und lebenswert macht. Dies gemeinschaftlich zu klären, ist eine der großen Chancen der Krise.

Denn das Leben ist nur in einem Punkt alternativlos – oder, neues Wort der Kanzlerin für dieselbe Denke: „unvermeidbar“: Es ist in jedem Fall tödlich. Alles andere ist Verhandlungssache.

Und gerade weil es endlich ist, sollten wir es zuvor feiern und genießen. Kontakt, Nähe und Berührung gehören zum Leben; Spaß, Vergnügen und freies Spiel gehören zum Leben – ebenso wie Krankheit und Tod, auch wenn wir Letzteres gerne verdrängen.

 

Erstveröffentlichung am 20.08.2020 auf Telepolis

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