Die Probleme des RGW und ökonomische Probleme mit der SU vor allem in den 1980er Jahren

RGW im Jahr 1986 Mitglied -  Ruhende Mitgliedschaft - Assoziiertes Land - Beobachter | Photo: Comecon.svg CC BY-SA 3.0

Als Reaktion auf den US-Amerikanischen Marshall-Plan von 1948 hatte der sowjetische Außenminister Molotow einen Plan für einen ‚Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe‘, im Folgenden kurz: RGW genannt, entworfen, der im Januar 1949 aus der Taufe gehoben wurde. 

 

Von Heinz Ahlreip, 02. Oktober 2024, 20:42 h | Im Manifest schrieben Marx und Engels, dass die Gegensätze der Völker unter der Herrschaft des Proletariats verschwinden werden.  (MEW 4,479). Der Kapitalismus hinterlässt dem Sozialismus keine gleichmäßig entwickelten Länder mit überall gleichem Produktionsniveau. Ja selbst in Russland lagen nach der Oktoberrevolution fünf verschiedene gesellschaftliche Wirtschaftsformen vor:

1. Die patriarchalische Bauernwirtschaft,
2. Die kleine Warenproduktion,
3. Der privatwirtschaftliche Kapitalismus,
4. Der Staatskapitalismus,
5. Der Sozialismus.
(Vergleiche Lenin, Über die Naturalsteuer, Werke, Band 32,343).

Und doch ist es der KPdSU gelungen, diese Wirtschaftsformen in einem Vielvölkerstaat, ich betone: in einem Vielvölkerstaat mit unterschiedlichen Sprachen, nur 43 % waren Russen, durch eine Reihe von Etappen ökonomischer und kultureller Umerziehung revolutionär umzugestalten und unter Reduzierung der fünf ursprünglichen Wirtschaftsformen auf zwei grundlegende Formen der sozialistischen Produktion, einer staatlich-volkseigenen und einer kollektivwirtschaftlichen, eine hocheffiziente Planwirtschaft herauszubilden, die die SU 1945 als Siegermacht hervorgehen ließ. 

Die Herausbildung des RGW ist nun zu sehen auf dem Hintergrund des unterschiedlichen Entwicklungsniveaus der aus dem 2. Weltkrieg entstandenen sozialistischen Länder, es gab arme und reiche Länder, Agrarländer (Rumänien, Bulgarien) und Industrieländer (DDR, SU,CSSR).  Vor dem RGW stand ab 1949 extern eine ähnliche Problematik, wie sie 1917 in Russland intern vorlag: Einmal wurde die Problematik erfolgreich gelöst, einmal nicht. 

Einmal erfolgreich, obwohl es in der Sowjetunion immer eine Warenproduktion gegeben hat, und eine Warenproduktion ist die gefährlichsten Springquelle einer antikommunistischen Fehlentwicklung. Ich erinnere nochmal an Marx, der sinngemäß gesagt hat:

„Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker werden unter der Herrschaft des Proletariats verschwinden.“ 
Karl Marx sinngemäß zitiert

Kurt Gossweiler..

…sieht im Gefolge der Revolutionen von 1917 viel größere Niveauunterschiede und folglich viel größere Schwierigkeiten der Nivellierung als zwischen den sozialistischen Ländern Europas 1949.
(Vergleiche offensiv, Aus der Diskussion zu M. Opperskalski und K. Gossweiler, in: Auferstanden aus Ruinen, Über das revolutionäre Erbe der DDR. 20./21. November 1999, „50 Jahre DDR – Für Sozialismus und Frieden“. Konferenz zur Verteidigung des revolutionären Erbes, 1999,191).

Also hätte der RGW erfolgreich sein müssen. 

Warum war das nicht der Fall? 

In seiner Spätschrift ‚Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR‘ (1952), hatte Stalin vor der Ausweitung eines Wirkungsbereichs der Warenproduktion gewarnt, man müsse ihn verengen, er wurde aber durch Einfügung von Marktelementen, gar durch Abschaffung des Außenhandelsmonopols erweitert. Und so brach die Revolution in aufsteigender Linie ab und schlug um in eine Revolution in absteigender Linie.  Es muss ein Umschlag von Quantität in negative Qualität erfolgt sein, dass die vorliegende Warenproduktion in kapitalistische Produktion umschlug. Das Krebsgeschwür war bereits im Körper der sozialistischen Volkswirtschaft vorhanden und wucherte unentdeckt weiter, die Revolution in absteigender Linie wurde immer noch für eine Revolution gehalten. Politisch drückte sich das so aus:  

Der Ablehnung der Stalin-Note, deren Hintergründe relativ einfach zu durchschauen waren, durch die US-Imperialisten und ihren westdeutschen Vasallen 1952, die beide auf die deutsche Einheit pfiffen, folgte 4 Jahre später die komplizierter zu durchschauende Ablehnung des sogenannten „Stalinismus“ durch Wendehälse, die Stalinstadt in Eisenhüttenstadt umtauften und auf die Stalin-Note pfiffen, damit die Spaltung Deutschlands verfestigten.

1980 sei der Kommunismus erreicht, tönte Chrutschow 1961 auf dem 22. Parteitag,
noch 1985 wurde auf der 41. Tagung des RGW beschlossen, die Produktivität gesellschaftlicher Arbeit bis zum Jahr 2000

„mindestens zu verdoppeln“.
(Willi Kurz, Problemsicht der sozialistischen ökonomischen Integration, Akademie Verlag Berlin, 1989,8).

1980 also das Schlüsseljahr, aber es wurde alles gegen die Commune getan, es kam ja auch alles ganz anders.  

RGW-Gebäude in Moskau | Photo: Von Foma – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Spätesten 7 Jahre nach der Gründung des RGW, durch die Auflösung der MTS (Maschinen-Traktor-Stationen) fraß sich der Warenkrebs von innen seine Bahn, er befiel alle Ökonomien der sogenannten Volksdemokratien des RGW, mit Ausnahme Albaniens (!!).  

Die Überwindung des Gegensatzes von Stadt und Land war die Bedingung der Aufhebung der Warenwirtschaft und für den Übergang zum Produktentausch von Industrie- und Agrarprodukten, aber durch die Auflösung der Maschinen-Traktor-Stationen 1958 wurde kontraproduktiv-konterrevolutionär gehandelt. Keime eines Produktenaustausches von Stadt und Land waren 1952 in der Sowjetunion vorhanden, aber spätestens 1958 durch die Auflösung der Stationen wurden sie zertreten. Weder hat danach die Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft kommunistisches Niveau erreichen können, noch gelangten die RGW-Staaten jemals zum Produktenaustausch. Es gab im RGW kein oberstes von Kommunisten geleitetes Planungsorgan, das die Bedürfnisse der einzelnen Volkswirtschaften erfasste. 

Stalin hatte 1952 gesehen, dass die Kollektivwirtschaften bereits anfingen, die Entfaltung der Produktivkräfte zu hemmen. Gerade sie wurden aber nach seinem Tod durch Entstaatlichung der Hauptproduktionsmittel der MTS bevorzugt, ja man kann sagen, Stalins Direktiven wurden bewusst in ihr Gegenteil verkehrt, Stalins richtige Warnungen vor einem Abweichen von der kommunistischen Linie wurden direkt als Anleitungen für schädliches Verhalten gelesen. Die Revisionisten wussten, dass sie sündigten, zumal in der sozialistischen Gesellschaft die Politik nach Lenin das Primat über die Wirtschaft hat.
(Lenin Werke, Band 32 (russ.),62).

Der Sozialismus ist durch eine falsche Entstaatlichung zugrunde gegangen. Das klingt zunächst merkwürdig, eine kleine Bemerkung mag es erklären. Bebels ‘Frau und der Sozialismus‘ wurde und wird mehr gelesen als der Anti-Dühring von Engels. Das ist schlimm, denn im Anti-Dühring wies Engels nach, dass die Dühringschen Wirtschaftskommunen am Vorhandensein einer Warenzirkulation scheitern werden. Nicht der Marxismus hat mit dem Zerfall der SU und des RGW eine Niederlage erlitten, sondern eine Politik im Sinne Eugen Dührings.

Heinz Kessler erzählte 1999 in einer Diskussion zum 50. Jahrestag der DDR einen interessanten Vorfall, den er als Offizier der NVA etwa 1986 mit dem damaligen Generalsekretär der bulgarischen KP Todor Shiwkow erlebt hatte. Shiwkow erzählte ihm, dass die Kommunisten in Bulgarien eine eigenständige Uhren- und Armaturenindustrie hochziehen wollten. Als Kessler ihm erwiderte, das sei unnütz, weil es diese Industrien bereits in anderen RGW-Staaten gäbe, warf Shiwkow ein: „Genosse Kessler, ich weiß, sie wollen wie viele andere, daß wir ewig den Status eines Agrarlandes haben und wir die Lieferanten für Obst bleiben und ihr seid die Industrienationen. Das wird unser Volk nicht mitmachen“. Das ist sehr aufschlussreich: Bulgarien wurde als Gemüsegarten betrachtet, also auch innerhalb des RGW gab es ein Stadt-Land-Gefälle und in Bulgarien selbst wurde dieses Gefälle auf Grund der aus Moskau vorgegeben revisionistisch-großmachtpolitischen Linie, Verzicht auf den Aufbau einer eigenen Industrie und Marktelemente in die Planwirtschaft einzumischen, größer statt kleiner. 

Besonders schlimm wurde es in den 80er Jahren. Die einzelnen Länder spezialisierten anti-kooperativ ihre Produktion immer mehr, ihr RGW-immanenter Handel trug mehr und mehr den Charakter eines Ergänzungshandels, während ein voller Sortimentsaustausch im Handel zwischen kapitalistischen Industrieländern immerhin bei etwa 30 % lag.
(Vergleiche Willi Kunz, Problemsicht der sozialistischen ökonomischen Integration, Akademie Verlag Berlin, 1989,11).

Auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU im Februar 1986 wurden folgenreiche ökonomische Beschlüsse gefasst, die sich von heutiger Sicht als Todesurteil für ein ganzes gesellschaftliches System lesen. Formuliert wurden sie recht neutral als Wirtschaftsreformen. Der wichtigste Beschluss war:

Die Umgestaltung der Wirtschaft von administrativen auf ökonomische Leitungsformen, dabei vor allem die höhere Selbständigkeit der Betriebe und die volle ökonomische Verantwortung für ihre Geschäftsfähigkeit hervorhebend. Die Betriebe konnte Direktbeziehungen zu anderen Betrieben im RGW aufnehmen. 1988 gab es aus der SU 670 Verträge mit Partnern in den RGW-Staaten davon zur DDR 120. Die Staatliche Plankommission sollte ab 1986 nur noch 400 zentrale Bilanzen erarbeiten gegenüber bisher mehreren 1000 zentralen Produktions- und Verteilungsbilanzen.
(Vergleiche a.a.O.,14).

Ab dem 1. Januar 1987 hatten 77 sowjetische Betriebe das Recht zu eigener Außenhandelstätigkeit, auch mit dem nicht-sozialistischen Ausland. Eine Koordinierung der Fünfjahrpläne wurde immer schwieriger, kaufmännische Akzente nahmen zu, Ware-Geld-Beziehungen prägten sich rapide aus und es gab politische Säuglinge auch unter DDR-Ökonomen, die behaupteten, dass es ohne Warenzirkulation keine sozialistische ökonomische Integration geben könnte (so Kunz, S.19). Der RGW war bereits kapitalistisch unterspült und ist so kein Planungsorgan eines zusammenwachsenden sozialistischen Weltmarktes geworden.  Im Gegenteil, es gipfelte darin, dass Erich Honecker schon zur Breschnew-Zeit förmlich um Rohöl-Lieferungen betteln musste und er später dann von der SU zu hören bekam: „Ihr seid so stark, Ihr könnt das Öl im Westen kaufen“. Dem entsprechend verlangte die Gorbatschow-Regierung für Öllieferungen an die DDR, Bezahlung in US-Dollar.

Der erst in den einzelnen sozialistischen Ländern sich innerökonomisch regende kapitalistische Krebs, mit den Kernbefall in der SU, griff kollektiv über und befiel und zersetzte zuletzt das ganze System RGW.

Es (ver-)endete am 21. Juni 1991.

 

 

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Dieses OnlineMagazin Der Revolutionär stellt kommunistische Weltanschauung zur Diskussion. Leider ist die bestehende Sichtweise über den Weg zum Sozialismus vielfach verfälscht, gelegentlich auch revisionistisch unterwandert und hat mit einer kommunistischen Ideologie wenig, gelegentlich auch gar nichts mehr zu tun. Viele Autoren, auch die Redaktion, befinden sich heute, durch unsere Altersstufe bedingt, im Ruhestand. Wir alle möchten aber unsere Erfahrungen als frühere „Parteikader“ weitergeben. Diese haben wir in der marxistisch-leninistischen Parteiarbeit und politischen Auseinandersetzung der 1970er und 80er Jahre gesammelt. Meinungsartikel und Gastbeiträge – auch wenn sie gelegentlich von der Meinung der Redaktion abweichen –  sorgen für ein breites Meinungs- und Informationsspektrum.

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Über Heinz Ahlreip 115 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.