Aus der Geschichte eines imperialistischen Geheimdienstes

Die deutschen Reaktionäre und Konzernbourgeoisiezeigte munteres Interesse an einem faschistischen Chile. Bild: Franz Joseph Strauß und Pinochet 1977

Tatsachen und Hintergründe des Putsches in Chile 1973.

Von Julius Mader 

Hamburg 11, Bei den Mühren, Hausnummer 70. Hier, in dem bekannten Überseehafen, ist der Sitz der Transtechnica GmbH & Co. Das ist eine am Südamerikageschäft beteiligte Firma, ordentlich im Handelsregister eingetragen, aber im Hamburger Telefonbuch nicht zu finden. Die Geschäftsleitung dieses mysteriösen Unternehmens verschickte an einen exklusiven Kreis von Empfängern in der Bundesrepublik Deutschland schon am 20. September 1973 , neun Tage nach dem blutigen Putsch in Chile, den „Situationsbericht Chile“ eines dieser Firma „nahestehenden Herrn aus Santiago“. Dieser namenlose Herr gab durch Transtechnica bekannt: „Wir wissen, dass es schwierig ist, vor der Weltöffentlichkeit diesen Militärputsch zu rechtfertigen. Doch für uns, die wir im einzelnen wussten, welche Schritte man plante, besteht keinerlei Zweifel, dass die einzige Lösung ein Militärputsch war ...“ Und so kündigte Transtechnica auch gleich „großen Bedarf an Importgütern“ in Chile an und empfahl allen kapitalistischen Staaten, bald die chilenische Junta anzuerkennen. Nur einen Tag später wurde in Bonn bestätigt, dass das Auswärtige Amt und die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Santiago den amtlichen Verkehr mit dem verfassungsfeindlichen Militärregime in Chile aufgenommen haben. 

Spuren des Geheimdienstes

Wer aber waren in der Bundesrepublik Deutschland jene, die „im einzelnen wussten, welche Schritte man plante“? Das 1971 erschienene antikommunistische Testament des Generalleutnants a. D. der Bundeswehr Reinhard Gehlen, der bereits zu Hitlers Spionage- und Sabotageexperten zählte und bis 1968 Chef des Geheimdienstes der Bundesrepublik Deutschland (Bundesnachrichtendienst, BND) war, gibt darüber Auskunft. In seinem Buch heißt es: „Wir haben alle Veranlassung, die Entwicklung in Chile und in anderen Ländern, in denen eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierungsmacht bereits verwirklicht ist oder bevorsteht, mit großer Aufmerksamkeit und Sorge zu beobachten.“(92) Die nachfolgend aufgeführten Aktivitäten des Bundesnachrichtendienst (BND) sind bereits solche aus der besorgt empfohlenen Aufmerksamkeit getane Schritte. Gehlens Nachfolger im Amt, Generalleutnant der Bundeswehr Gerhard Wessel, der sich wie Gehlen seine Sporen unter Hitler verdient hatte, setzte sofort nach dem Wahlsieg Präsident Allendes den weit verzweigten Apparat des BND gegen die Regierung der Unidad Popular in Gang. Bald bestätigte das Nachrichtenmagazin der Bundesrepublik Deutschland „Der Spiegel“ dem BND ausdrücklich die geleistete „Qualitätsarbeit in einigen Sachreferaten – wie etwa für Nahost und Südamerika“.(93) Fortan beschäftigten die drei operativen Abteilungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) ihre Lateinamerika-Referate mit der Untergrundarbeit in Chile. Unterstützt wurden sie dabei von den Auslandsniederlassungen der Monopole der Bundesrepublik Deutschland und aus dem Kreis der 12.000 in Chile tätigen BRD-Bürger, die für subversive Aufgaben eingesetzt waren. Doch nicht nur das. Auch mit „Südamerikanern arbeitet … der BND“(94). „Wessels BND ist“, so verlautete „Der Spiegel“ erst kürzlich, „zugleich Stammfirma zahlreicher Wirtschaftsunternehmen, die bei Finanzämtern und Handelsgerichten ordnungsgemäß angemeldet sind. Er sitzt im Kaffee-Import und Schifffahrtslinien … Scheinfirmen und Tarnfirmen, Scheinbüros und Tarnwohnungen sind die Maschen eines nachrichtendienstlichen Netzes, das sich über die ganze Welt zieht und in der Bundesrepublik Deutschland geknüpft wird.“(95) Ganz offenbar gehört die Hamburger Transtechnica GmbH, auf deren Chile-Ratschläge die Regierung der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar reagierte, zu diesem Untergrundsystem. [Quellen-Kontext 1974]

 

Agenturen für Wühltätigkeit

Geheimdienstler wirken, wie es in der Bundesrepublik Deutschland heißt, „in Gesellschaften, die Beziehungen nach Afrika, Nahost, Südamerika und Fernost pflegen“(96). In der Bundesrepublik Deutschland werden jedoch die Namen dieser sorgsam getarnten Subversionsorgane, die beispielsweise die UP-Politik in Chile sabotierten, nicht genannt. Wir aber kennen sie, und wir nennen sie:(97) [Quellen-Kontext 1974:]

„Konrad-Adenauer-Stiftung“ der CDU mit einer Filiale in Chile;
„Friedrich-Ebert-Stiftung“ der SPD mit einer Filiale in Chile;
„Ibero-Amerika-Verein“ in Hamburg;(98)
„Deutsch-Ibero-Amerikanische Gesellschaft“ in Frankfurt am Main;
„Ibero-Club“ in Bonn;
„Deutsche Ibero-Amerika-Stiftung“ in Hamburg;
„Institut für Ibero-Amerika-Kunde“ in Hamburg;
„Deutscher Entwicklungsdienst (DED)“ („Servicio de Voluntarios Alemanes“) in Bad Godesberg mit einer Filiale in Chile und
„Goethe-Institut“ in München mit Filialen in Santiago und Valparaiso („Instituto Chileno-Alemán de Cultura“).
(99)

Wie tief diese Institutionen in die Vorbereitung des faschistischen Putsches verstrickt waren, lässt sich auch daran erkennen, dass jene Bürger der Bundesrepublik Deutschland, die zugegebenermaßen „im einzelnen wussten, welche Schritte man plante“, von den brutalen Übergriffen der Junta gegen ausländische Diplomaten, Journalisten, Wissenschaftler und Studenten sorgsam ausgenommen wurden. „Die Botschaftsangehörigen in Chile, die Angehörigen des Generalkonsulats, des Goethe-Instituts, die Mitglieder des DED, die Angehörigen der Adenauer- und der Friedrich-Ebert-Stiftung seien nicht zu Schaden gekommen“, meldete in der Zeit der chilenischen Massenmorde „Der Tagesspiegel“ am 15. September 1973.

Bundeswehr und Junta

Zwei Monate waren nach dem Putsch der Verfassungsfeinde in Chile vergangen. Es gab wohl kaum einen zivilisierten Flecken auf der Erde, wohin nicht die Nachricht über die Verbrechen der Junta gedrungen wären. Weltweit hallten zornige Proteste. Da nahm am 10. November 1973 der Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr Dr. Jur. Friedrich Beermann sogar die blutrünstige Militärjunta öffentlich auf dem SPD-Parteitag von Schleswig-Holstein in Heiligenhafen in Schutz und diffamierte alle Andersdenkenden, indem er sie als „Verfassungsfeinde“ abzustempeln suchte. Brigadegeneral Beermann ist nicht irgendwer. Aus seinem Lebenslauf geht hervor: 1934 Offiziersanwärter in der Reichswehr; 1944 Oberstleutnant und Regimentskommandeur der Hitlerwehrmacht; seit 1947 Mitglied der SPD; 1955 bis 1959 Referent für „Sicherheitsfragen“ beim SPD-Vorstand; 1962 Oberst im Generalstab und BRD-Repräsentant bei der Standing Group der NATO in Washington; 1963 Geheimdienstoberst der Bundeswehr und Militärattaché der Bundesrepublik Deutschland in Indien und Nepal; seit 1969 als im Herzogtum Lauenburg gewähltes Mitglied in Bundestag. Und seine Meinung ist gewiss viel mehr als nur eine private. „Die Welt“ weiß zu berichten: „Friedrich Beermann hat die gleichen Ansichten schon einmal vorgetragen. In der Bundestagsfraktion der SPD. Dort sind sie schweigend zur Kenntnis genommen worden.“(100) Aber nicht nur die Person Beermanns beweist die schon traditionellen Bindungen der reaktionären Militärs Chiles an die Generalität des deutschen Imperialismus. Dafür gibt es noch diverse Beispiele: [Quellen-Kontext 1974]
Die Bundeswehr bildete im letzten Jahrzehnt 14 chilenische Offiziere an ihren Führungs- und Stabsakademien in Hamburg beziehungsweise an der Schule der Bundeswehr für „Innere Führung“ in Koblenz-Pfaffendorf aus. Vor 1970 inspizierten nacheinander die Nazikriegsverbrecher General Hans Speidel als Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Europa-Mitte und Generalinspekteur der Bundeswehr Josef Moll Chile. Am 23. März 1971 hatte sich im Konferenzsaal des Bundeswehrbereichskommandos VI in der Münchner Dachauer Str. 128 eine exklusive Runde zusammengefunden. Die Eingangskontrolle war besonders scharf. Es tagten die Südamerikaexperten der Bundeswehr und der militaristischen BRD-„Gesellschaft für Wehrkunde“. Referent des Tages: Oberst Dr. rer. pol. Dietrich Fiechtner, aus Chile zurückgekehrter Militärattaché der Bundeswehr, einstiger Generalstabsmajor im Oberkommando des faschistischen Heeres.(101) Diskussionsthema der Konferenz: Worin muss der Beitrag der Bundeswehr bestehen, um gemeinsam mit dem NATO-Partner USA Volksfrontregierungen in Lateinamerika zu verhindern. Schon zwei Monate nach dem blutigen Putsch überreichte der Bonner „Deutsch-chilenische Freundeskreis“ eine hohe Geldspende gerade an den Junta-Polizeigeneral Mendoza. Diesem „Freundeskreis“ gehörten über 20 hohe Offiziere der Hitlerwehrmacht beziehungsweise der Bundeswehr sowie Bundestagsabgeordnete, Ministerialbeamte und Industrielle an, darunter als einer der Gründer der ehemalige Heeresinspekteur der Bundeswehr Generalleutnant a. D. Albert Schnez, der Inspekteur der Bundesmarine Vizeadmiral Heinz Kühnle, der schon genannte Standortkommandant von München Oberst a. D. Dr. Fiechtner, der Major und „Ritterkreuzträger“ Minister a. D. Erich Mende (CDU) und Hauptmann a. D. Knut Freiherr von Kühlmann-Stumm (CDU).

 

Nazioffiziere nach Chile
[Quellen-Kontext 1974:]

Schon seit langem fällt auf, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in Chile gern von belasteten Nazis und ehemaligen Angehörigen des faschistischen Offizierskorps repräsentieren lässt. Das trifft zum Beispiel auch auf die Oberstleutnante im Generalstab Karl-Heinz Marbach und Franz Loyo zu, die als Militärattachés der Bundeswehr in Chile zum Einsatz kamen. Aber nicht nur mit solchen offiziellen Repräsentanten der Bundeswehr hat man es dort zu tun. Andere machen ihren Einfluss als „Zivilpersonen“ geltend.
So tauchte der faschistisch belastete Vizeadmiral Friedrich Frisius als Großgrundbesitzer und konterrevolutionärer Bodenspekulant im chilenischen Rancagua auf, seine Sippe stand 1973 „natürlich“ auf der Seite der Putschisten. Die Santiagoer Lufthansa-Filiale wird von Reinhold Freiherr von Malapert-Neufville dirigiert, einem ehemaligen Kapitänleutnant der faschistischen Kriegsmarine. Frisius und der adlige Malapert-Neufville sind zudem insgeheim in der Bad Godesberger „Marine-Offizier-Vereinigung (MOV)“ organisiert, deren Satzung alle Mitglieder verpflichtet, wo auch immer, der Bundeswehr zu assistieren. Das „Instituto Chileno-Alemàn de Cultura“ der Bundesrepublik Deutschland in Santiago wurde von Dr. Phil. Günter Bär aufgebaut, der als Offizier in Hitlers „Afrika-Korps“ großgeworden ist. Jetzt amtiert [1974] in diesem Institut der Augsburger Dr. phil. Rudolf M. Hartweg, der an der faschistisch geleiteten Universität von Madrid [Kontext 1974] für seine Funktion vorbereitet wurde. Die Niederlassung dieses BRD-Instituts in Valparaiso, das chilenische Kader imperialistisch beeinflusst und schult sowie das „Auslandsdeutschtum“ aktiviert, wird von Dr. phil. Dieter Greiner geführt, der die DDR illegal verlassen hat, nachdem ihm schon 1953 konterrevolutionäre Umtriebe nachgewiesen werden konnten. [Kontext 1974]
Typisch für den Charakter der Santiagoer Junta ist, dass sie den ehemaligen SS-Standartenführer Walter Rauff, der als Eichmann-Komplice und Massenmörder 1958 nach Punta Arenas in Chile geflüchtet war, zu ihrem Berater ernannte. Kurz darauf rauchten im Mai 1974 im KZ von Chacabuco die Essen des neu eingerichteten Krematoriums. Dieser Rauff hatte schon für Hitlerdeutschland durch die von ihm entwickelten fahrbaren Gaskammern 97.000 Juden und Partisanen, Sozialisten und Kommunisten fünf europäischer Nationen vernichten helfen. Seine beiden Söhne zählen heute zu den Absolventen der chilenischen Militärakademie.[Kontext 1974]
Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, welche politischen Aufträge solche Dunkelmänner im Interesse der imperialistischen Globalstrategie in Chile erledigten.

Anmerkungen (nummeriert nach Original)

92 Reinhard Gehlen, Der Dienst, Mainz/Wiesbaden 1971, S. 385/386.
93 Zitiert nach „Der Spiegel“, Hamburg, Nr. 11/1971, S. 46.
94 Ebenda, S. 68.
95 Ebenda, S. 66 und 68.
96 Hermann Zolling/Heinz Höhne, Pullach intern – General Gehlen und die Geschichte des BND, Hamburg 1971, S. 14.
97 Vgl. dazu: Die SPD/FDP-Regierung der BRD und der geheime Bundesnachrichtendienst. In: „Dokumentation der Zeit“, Berlin, Nr. 14/1971, S. 16.
98 Vgl. Julius Mader, La „Sociedad Iberoamericana“, un club neonazista de los monopolios germanooccidentales. In: „Puente“, Dresden, Nr. 5/1969, S. 40/41; „Die Wirtschaft“, Berlin, Nr. 40/1969, S. 15.
99 Vgl. Ruth Holz/Julius Mader, Abuso de un nombre sagrado. In: „Puente“, Dresden, Nr. 6 und 7/1968, S. 8f. bzw. S. 40f.
100 „Die Welt“, Hamburg, vom 13. November 1973.
101 Vgl. Albrecht Charisius/Julius Mader, Nicht länger geheim, a. a. O., S. 590.

 

Editorische Anmerkungen

Der Bundesnachrichtendienst (BND) kehrt demnächst mit Hauptsitz zurück nach Berlin – an seine historische Wirkungsstätte. Reinhold Schramm besorgte uns daher diesen Auszug aus:

Julius Mader. Instruction 37/57, Tatsachen und Hintergründe des Putsches in Chile 1973. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1974. (S. 92-98)

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1 Kommentar

  1. Auf die 68 Fragen, die der Linkspolitiker Jan Korte und andere Abgeordnete dem Außenministerium vorlegten hat die Bundesregierung „zurückhaltend“ auf Fragen zur Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA mit Militärdiktaturen in Griechenland und Chile in den frühen 1960er und 1970er Jahren reagiert.

    Die Antwort der Bundesregierung vom 5. Dezember hat Korte in ihrer Lückenhaftigkeit so irritiert, dass er eine offizielle Beschwerde über eine mangelnde Kooperation der Regierung eingereicht hat. „Diese Antworten sind eine Frechheit sondergleichen“, schimpft Korte. „Im Übrigen geht man so nicht mit einem Parlament um.“

    Zwar räumt das Auswärtige Amt ein, dass die Regierung unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt (auch „Friedenswilli“ genannt) über den geplanten Putsch der Junta unter Führung General Augusto Pinochets vorher informiert war. Details zur Rolle der damaligen deutschen Regierung will das Ministerium allerdings nicht preisgeben.
    Verschwiegenheit „aus Staatswohlgründen“

    Auch darüber hinaus lehnt die Bundesregierung es ab, zentrale Fragen zur Kooperation zwischen der CIA, die aktiv Pinochets Gruppe unterstützte, und dem BND zu beantworten – „aus Staatswohlgründen“, wie es heißt. „Durch eine Offenlegung von Inhalten in Bezug auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden würde die gegenseitige strikte und unbefristete Vertraulichkeit, die die Grundlage jeglicher nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit bildet, verletzt“, ist in der Antwort der Regierung auf die Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten zu lesen.
    Das ist bürgerlicher Parlamentarismus. Noch Fragen?

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