Der Groschen fiel nicht

Karl Marx in seinem Arbeitszimmer in London. Er verfasste gemeinsam mit Friedrich Engel das Kommunistische Manifest | ArchivPhoto

Der fünfte September 1905 war ein aufschlussreicher Tag. In der englischen Stadt Portsmouth wurde durch die Signaturen unter einem Friedensvertrag vor der Weltöffentlichkeit die Niederlage Russlands gegen Japan dokumentiert, als Musterbeispiel eines asymmetrischen Krieges nach nur sechzehn Monate Krieg.

 

Heinz Ahlreip – Autor und Redaktionsbeirat

 

 

Von Heinz Ahlreip 
31. Mai 2023

 

 

Es wurde angezeigt, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass sich Russland in einem kommenden Großkrieg als das schwächste Kettenglied erweisen könnte, dass die Völker des Ostens, die die europäischen Gelehrten als geschichtslose abtaten und auch heute noch abtun, im Erwachen begriffen sind und das zehn Jahre nach dem Tod von Friedrich Engels dessen Konzept einer gleichzeitigen proletarischen Revolution nur in den fortgeschrittenen westeuropäischen Ländern einen ersten Riss bekam.

Wirklich? Sicherlich blieb dieses für den Zarismus schandhafte Ereignis nicht ohne Einflussnahme auf Lenins Theorie der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und dann auch politischen Entwicklung der einzelnen Länder unter den Bedingungen des Monopolkapitals.

Lenins Theorie? Es ist in der Theoriegeschichte des Marxismus eine falsche Zuordnung vorgenommen worden, insofern die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung als nur mit dem imperialistischen Stadium des Kapitalismus korrespondierend dargestellt worden ist und folglich genuin (authentisch, logisch, ursprünglich) auf Lenin zurückzuführen sei.

Das ist falsch, Engels war nur nicht stringent (schlüssig, logisch). In seinen einen Monat vor dem Manifest verfassten ‘Grundsätze des Kommunismus‘ notiert er im November 1847 eine durch die große Industrie bedingte Gleichheit der gesellschaftlichen Entwicklung insbesondere in den zivilisierten Ländern. Der Sozialismus kann daher nicht in einem Land aufgebaut werden.
(Vergleiche Friedrich Engels, Grundsätze des Kommunismus, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,374).

Einen Monat später spricht er zusammen mit Marx im Manifest von der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion, spricht davon, dass die Maschinerie den Unterschied der Arbeit mehr und mehr verwische. Es kann nicht bestritten werden, dass die Nivellierung des Weltmarktes durch die Große Industrie ein durchgehender Grundgedanke des Manifestes bildet. Das war der Stand kurz vor der 48er Revolution.

Ungefähr 40 Jahre später wird seine Studie über Feuerbach publiziert und da lesen wir etwas ganz anderes: “Die Produktionskräfte, vertreten durch die Bourgeoisie, rebellieren gegen die Produktionsordnung, vertreten durch die feudalen Grundbesitzer und die Zunftmeister; das Ergebnis ist bekannt, die feudalen Fesseln wurden zerschlagen, in England allmählich, in Frankreich mit einem Schlag, in Deutschland ist man noch nicht damit fertig“
(Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960,300).

1789: Abrechnung mit der Feudalität in einer Nacht, 1888: In Deutschland immer noch nicht damit fertig. Was für eine Nivellierung (Vereinheitlichung) soll denn hier vorliegen? 40 Jahre nach den Grundsätzen des Kommunismus sagt die Praxis doch etwas ganz anderes aus. Spätestens hier hätte der Groschen fallen müssen, er fiel nicht.

So ist es zu einer regelrechten Achterbahn gekommen.

1847: Sozialismus in einem Land ist unmöglich, Trotzki hat Recht;

Lenin 1915: Sozialismus in einem Land ist möglich, Stalin hat Recht.

Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen, wozu uns die verdorbene, Halbbildung paukende bürgerliche Gesellschaft anhält, Großmeister des Marxismus-Leninismus zu sein, selbst Engels war keiner.

Wir dürfen die Augen vor den Widersprüchen nicht verschließen, die Sache wird schon irgendwie mit dialektischen Spitzfindigkeiten hinzubiegen sein. Da liegt der Hase im Pfeffer (begraben) bzw. warum in der kommunistischen Bewegung der Wurm drin ist. Im Manifest lesen wir, dass früher ein Teil des Adels zur Bourgeoisie überging und dass jetzt ein Teil der Bourgeoisie zum Proletariat übergeht. Darin liegt auch eine Gefahr. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht einen Sack Flöhe einhandeln, sprich: Schönredner und Würfelverdreher.

 

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Über Heinz Ahlreip 77 Artikel
Heinz Ahlreip, geb. am 28. Februar 1952 in Hildesheim. Von 1975 bis 1983 Studium in den Fächern Philosophie und Politik an der Leibniz Universität Hannover, Magisterabschluss mit der Arbeit »Die Dialektik der absoluten Freiheit in Hegels Phänomenologie des Geistes«. Forschungschwerpunkte: Französische Aufklärung, Jakobinismus, Französische Revolution, die politische Philosophie Kants und Hegels, Befreiungskriege gegen Napoleon, Marxismus-Leninismus, Oktoberrevolution, die Kontroverse Stalin – Trotzki über den Aufbau des Sozialismus in der UdSSR, die Epoche Stalins, insbesondere Stachanowbewegung und Moskauer Prozesse.